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Wespennest Backlist
Susanne Scharnowski
Der Anti-Heimat-Reflex

In einer Replik auf Jan Koneffkes „wespenstich“-Kolumme vom 31.10.2019 („Der Heimat-Sprech“, hier nachzulesen) verteidigt Susanne Scharnowski den analytisch-kritischen Ansatz ihres Buches Heimat. Geschichte eines Missverständnisses. Durch Abwehr des Heimatbegriffs lasse sich politischer Populismus nicht verstehen.

Heimat ist überall, das sieht man auf Wahlplakaten aller Parteien und in Supermärkten, die Produkte als „Ein gutes Stück Heimat“ vermarkten. Damit hat Jan Koneffke ein Problem, aber auch mit Heimat überhaupt: Er hadert mit dem Land seiner Herkunft und mit seiner ganz persönlichen „entwurzelten Kindheitsheimat“, der Neu-Isenburger Neubausiedlung. So weit, so erwartbar; ist es doch das tägliche Brot von Intellektuellen und Schriftstellern, sich an der Heimat zu reiben. Doch stößt er sich auch an der politischen Instrumentalisierung eines aufgeladenen Wortes. Und eine Analyse solcher politischen Instrumentalisierung wäre gewiss nützlich, wenn man dem Erfolg populistischer Parteien etwas entgegensetzen wollte.
Doch um Analyse geht es Jan Koneffke nicht, sondern um Abwehr. Dabei reproduziert er Teile der problematischen Diskursgeschichte der ‚Heimat‘, die ich in meinem Buch analysiere. Dazu gehört auch, dass der Blick auf die Instrumentalisierung durch „Rechtspopulisten und Rechtsextremisten“ verengt wird. Ein alter Gedanke: Man hört oft, das Wort ‚Heimat‘ sei durch den propagandistischen Missbrauch im Nationalsozialismus unbrauchbar geworden. Doch statt den Missbrauch zu analysieren, wird das Missbrauchte diskreditiert. Instrumentalisieren lässt sich aber nur, was schon vorhanden ist, im Fall der Heimat: Sehnsüchte und Verlustängste. Auch diese Gefühle gibt es nicht erst jetzt: Modernisierungsschübe und gefühlter oder tatsächlicher Heimatverlust lösen immer wieder – individuell wie auch kollektiv – Nostalgie aus und führen zu einer Idealisierung der Vergangenheit oder einer Verklärung idyllischer Orte; man denke nur an Adornos Kindheit in Amorbach oder an die Ostalgie der 90er-Jahre.
Von Verklärung, Idealisierung und Idylle jedoch ist es nicht weit zum Kitschverdacht, und Kitsch gilt als gefährlich. Chiffre für Heimatkitsch ist bei Jan Koneffke „Bullerbü“, das „Leitmotiv der politischen ‚Bewegung‘ des Björn Höcke“. Und von Bullerbü zur aggressiven Abwehr des Fremden und zur „Bestialität“ ist es aus Koneffkes Sicht nur ein kleiner Schritt. Eben dieses „Bullerbü“ aber sieht er auch in der Wissenschaft auf dem Vormarsch: Bei Geisteswissenschaftlern, die sich analytisch-kritisch mit dem Heimat-Phänomen beschäftigen, hört er „neudeutschen Heimat-Sprech“ und vermutet „Heimatgefühl und -Getue“, selbst wenn er den Inhalt ihrer Vorträge und Bücher nicht kennt; vermutlich hält er es mit Walter Benjamin, der meinte, eine Polemik gewinne dadurch. Jedenfalls wurmt es ihn, wenn sich eine Germanistin mit Heimatfilmen beschäftigt, statt bei den „großen romantischen Gedichten“ zu bleiben, wie es die deutsche Germanistik vor 1968 und der Erkenntnis tat, dass auch Populärkultur der Analyse wert ist, und sei es auch nur, weil Bestseller und Kinoerfolge die Sehnsüchte und Ängste von Gesellschaften spiegeln. Wer vom Höhenkamm herabblickt und Massenkultur lediglich als „kulturellen Abstieg“ begreift, der wird politischen Populismus nur abwehren, nicht aber verstehen oder verhindern. Daher ist es problematisch, die eigenen Gefühle zum Maßstab der Beurteilung politischer Entwicklungen zu machen. Denn wer das Wort ‚Heimat‘ auf der Basis solcher Gefühle nach rechts außen verbannt, sorgt dafür, dass diejenigen, die Heimat nötig haben, Parteien und Politikern überlassen bleiben, die Heimatsehnsüchte instrumentalisieren. Dabei zeigt z.B. das sächsische Augustusburg, dass kluge Heimatpolitik ein Erfolgsrezept gerade für die Sozialdemokratie sein kann.


Susanne Scharnowski, geb. 1960. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Deutsche und Niederländische Philologie der Freien Universität Berlin. Ihr Buch Heimat. Geschichte eines Missverständnisses erschien 2019 bei wbg Academic.

11.11.2019

© Susanne Scharnowski / wespennest


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