Andrea Roedig Schluss mit sexy-lustig
Im ersten Durchgang der österreichischen Bundespräsidentschaftswahlen hat der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer 35 Prozent der Stimmen erhalten, die beiden Volksparteien lagen mit 11 Prozent weit abgeschlagen. Noch weiter eingebrochen ist der Spaßpopulist Richard Lugner. Das kann einem fast leid tun.
Derzeit ist viel Polizei in der Stadt. Mehr als sonst, will es scheinen. Man sieht sie vor allem auf Wiens belebten Plätzen, manchmal aber auch auf den unbelebteren, einsameren. Deutlich sichtbar stehen Polizeiwagen auf den Gehsteigen. Grüppchen von drei bis vier Uniformierten schlendern umher, nehmen gemächlich Kurs in Richtung der kleinen Ansammlungen herumstehender oder herumsitzender Männer dunklerer Hautfarbe und kontrollieren die Papiere. Es ist ein lautloses Spiel. Zäh, langsam, wie in Zeitlupe geht es vonstatten. Man hört aus einiger Entfernung nicht, was gesprochen wird, welche Informationen der Beamte durchs Funkgerät abruft; man sieht nicht, welche Dokumente die Befragten vorzeigen, welche Tascheninhalte, was genau die Polizei da kontrolliert. Dass man besser nicht zu nahe kommt, ist unausgesprochen klar. Ebenso stillschweigend scheint vereinbart, dass nicht kontrolliert wird, wer sich unauffällig verhält, weiß ist, inländisch aussieht. Man sollte die Beamten nicht durch Einmischung reizen, so fühlt sich das an. Paradox. Man ist stets etwas unsicher in der Gegenwart von Sicherheitskräften.
Es ist viel FPÖ im Land derzeit. Nach der ersten Runde der Bundespräsidentenwahlen zeigt eine Infografik, die die Wahlergebnisse der Regionen nach Mehrheiten abbildet, ein fast komplett flächendeckendes Blau. Einzig in Tirol, Vorarlberg und in wenigen urbanen Ballungsräumen, wo es auch Mehrheiten für den als unabhängig kandidierenden Alexander van der Bellen gab, leuchten kleine, grüne Flecken, die in Wien jäh an der Donau abbrechen. Schon drüben in Floridsdorf wird die Welt wieder blau.
Jetzt ist der Katzenjammer groß und die europäische Besorgnis um dieses Volk, und wieder passt da Nietzsches schöne Beschreibung: Der Mensch versteckt etwas hinter einem Busch, tut, als wäre nichts gewesen, sucht, und siehe da, er entdeckt, dass da hinter dem Busch etwas verborgen liegt. So geht Wahrheitsfindung durch Amnesie. Fakt ist, dass sowieso ein Fünftel der ÖsterreicherInnen bereit ist, eine – wie nennt man das jetzt? – übel rechtspopulistische Partei zu wählen. Das wusste man vorher schon, hat ein gutes Abschneiden des rechten Kandidaten auch herbeigeredet und herbeiprognostiziert, ist jetzt aber doch überrascht vom Ergebnis der ersten Wahlrunde und macht sich bürgerlich Sorgen um die Erosion des etablierten Parteien-Systems.
Die Leute wollen Sicherheit. Nur darum geht es zurzeit, um die innere Sicherheit und die äußere als absurderweise so genannte „Sicherung der Grenzen“, was klingt, als stünden da beutegeile Feindeshorden mit gezückten Krummsäbeln vor den Toren (oder am Brenner), bereit zum Angriff auf die heimischen Fleischtöpfe. Norbert Hofer und seine FPÖ spielen die Karte gut. Mehr Polizei, drastische Reduktion der Sozialunterstützung für Asylbewerber, Grenzen dicht. Die Menschen, die ihn wählen, sind laut Analyse vorwiegend männlich, unter 30, aus ländlicher Region und von eher geringem Bildungsstand. Fraglich, ob man sich mit dieser inländischen Wutklientel sicherer fühlt als mit der Bedrohung, die da vermeintlich von außen kommt.
Richtig wenig Erfolg hatte bei diesen Wahlen der andere, der Spaßpopulist, und im Nachhinein kann einem das fast leid tun. Richard Lugners Kampagne war von so abgründiger Räudigkeit, dass man sie schon wieder als intellektuelle, zumindest aber als ästhetische Herausforderung sehen konnte. Während die anderen KandidatInnen sich im gewohnt seriösen Porträt ablichten ließen, vor Bücherwänden, Bäumen, Bergen, Parlamentsgebäuden, präsentierte sich Lugner auf seiner Homepage als gezeichnete Karikatur in einem Kasperl-Theater, um ihn herum die Konkurrenten als Polizist, Knastbruder (das sollte FPÖ-Mann Norbert Hofer sein), Hexe und ketterauchendes Krokodil dargestellt. Er selbst (83) stand in der Mitte als Kasperl mit seinem „Spatzi“ Cathy (26) im Arm. Der Baumeister und Boulevardlöwe führte seinen Wahlkampf dezidiert gemeinsam mit seiner First Lady, die in einem Online-Video sehr blond und schmollmundig vorrechnete, dass die beiden zusammengenommen ein Durchschnittsalter von 54 hätten und daher jünger seien als die meisten Mitbewerber. Lugner dagegen erklärte im selben Video wortgewaltig, dass er als Nichtakademiker und Mann des Volkes das Volk am besten repräsentieren könne. Fassungslos durfte man sich auch noch seinen Wahlkampf-Rap anhören, in dem er sprechsingend seine First Lady hochleben ließ: „Cathy ist so fesch, so g’scheid, meine Gegner frisst der Neid.“
Österreich ist ein Land, in dem man nie so genau weiß, was Parodie ist und was nicht, und auch in Lugners Trashwahlkampf war die Grenze zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Selbstverblödelung fließend. Man konnte die Show als vorwegnehmende Persiflage aller folgenden medialen Inszenierungen sehen, bei denen auch die seriösen Sendeanstalten erst das Amt des Bundespräsidenten in seiner politischen Bedeutsamkeit hochredeten, um dann die KandidatInnen ins niederste Schlammbecken des Wahlkampfentertainments zu tauchen. Von ORF-„Wahlfahrten“ bis Puls 4-„Wahlarena“ war ja alles dabei.
Lugner aber saß schon längst drin im Schlamm, und bei aller Dummheit hatte seine Attitüde des Unseriösen auch etwas Melancholisches. Ein Greis, der mit seinem flotten Feger die Herzen des einfachen Volkes gewinnen will – das ist ein zutiefst altmodisches, rührend harmloses Modell. 1998, als Lugner schon einmal antrat, brachte die Masche noch 9,9 Prozent der Stimmen. 2016 sind es noch 2,3 Prozent. Die Zeiten sind angespannt, der Wind weht schärfer. Schluss ist mit sexy-lustig. Jetzt trommelt man zum Richtungswahlkampf grün gegen blau. Und nur einer kommt durch, wie bei den Tributen von Panem. Bis zur Stichwahl am 22. Mai kann sich Österreich auf spannende Wochen gefasst machen und vielleicht auf einen sehr üblen Katzenjammer danach.
Andrea Roedig, geb. in Düsseldorf, promovierte im Fach Philosophie. Seit Mai 2014 Mit-Herausgeberin des Wespennest. Letzte Buchveröffentlichung: Bestandsaufnahme Kopfarbeit (gem. mit Sandra Lehmann; Klever 2015).
04.05.2016
© Andrea Roedig / wespennest
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