Lena Brandauer Body Control. Zu Angelina Jolies Kommentar „My Medical Choice“
Risikobewältigung auf den medizinischen Ernstfall. Die genetische Forschung fordert uns individuell wie gesellschaftlich und öffnet dem Geschäft mit der Angst ein weites Betätigungsfeld. Lena Brandauer zieht aus der Debatte um Angelina Jolies Brust-OP den Schluss, dass das Sprechen über Körper und Krankheit in fragwürdigen Metaphern feststeckt.
Am 14. Mai dieses Jahres erregte ein Artikel der US-amerikanischen Schauspielerin Angelina Jolie in der New York Times international großes Aufsehen. Jolie berichtete darin, sie habe sich als Reaktion auf einen Test, der ihr ein defektes BRCA1-Gen nachwies, und aufgrund mehrfacher Brustkrebserkrankungen in ihrer Familie zu einer prophylaktischen Mastektomie ihrer beiden Brustdrüsen entschieden. Ihr eigenes Brustgewebe wurde durch Silikonimplantate ersetzt, das Risiko an Brustkrebs zu erkranken läge jetzt nur mehr bei fünf statt zuvor bei 87 Prozent. Der Artikel enthält auch einen Appell an „alle Frauen“, sich über Brustkrebsrisiken zu informieren und gegebenenfalls einem Gentest zu unterziehen. Sein Titel „My Medical Choice“ stellt eine Verbindung zur Pro-Choice-Bewegung her, die seit den Siebzigerjahren für einen legalen Zugang zu Abtreibung eintritt, und ordnet sich so in eine Debatte um Frauenrechte ein. In feministisch ausgerichteten Internetforen wurde er mit zahlreichen positiven Kommentaren bedacht. Jolies Handlung sei ein mutiger Schritt und ein positives Zeichen für Frauen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, heißt es vielfach.
Angelina Jolies persönliche Entscheidung ist zu respektieren und soll hier auch nicht zur Diskussion stehen. Der Fall spiegelt jedoch darüber hinaus auf deutliche Weise herrschende Körper- und Krankheitsauffassungen unserer Zeit wieder. So zum Beispiel, dass es möglich sei, die Entwicklung des eigenen Körpers, unter anderem mittels Gentest und Operationen, vorhersehbar zu machen, ihn „rein“ zu halten und fehlerhafte DNA-Sequenzen zu bekämpfen. „Life comes with many challenges. The ones that should not scare us are the ones we can take on and take control of“, begründet die Schauspielerin und Regisseurin abschließend ihre „proaktive“ Entscheidung.
Solche Kontrollfantasien sind im Krankheitsdiskurs keineswegs neu. Vor allem Krankheiten mit tödlichem Ausgang sind seit jeher Topoi, anhand derer die fundamentale menschliche Angst vor der eigenen Sterblichkeit debattiert wird und daher auch Orte wirkungsmächtiger metaphorischer Prozesse. In Aids and its Metaphors (1989) verweist Susan Sontag darauf, dass die Gleichsetzung von Gesellschaft und Körper schon bei Plato und Aristoteles zu finden ist. Ebenso lange ist es gebräuchlich, Bedrohungen, die von außen über eine Gesellschaft hereinbrechen, genauso wie dissidente Elemente in ihrem Inneren mithilfe von Krankheitsbildern zu beschreiben. Zahlreiche militärische Metaphern finden Eingang in den Krankheitsdiskurs, der mit Ausdrücken wie „Killerviren“ oder „Immunabwehr“ oft einer Schlachtbeschreibung gleicht. Es scheint als könne man Krankheiten leichter erfass- und kontrollierbar machen, wenn man die dafür verantwortlichen Bakterien und Viren als klar vom Selbst abtrennbare Exoten und Fremdkörper begreift, die von Außen in den als integer und rein imaginierten Körper eindringen. Insofern verwundert es nicht, dass als bedrohlich wahrgenommene Krankheiten häufig auf gesellschaftliche Randgruppen sowie auf die Bewohner finanziell und wirtschaftlich weniger prestigeträchtiger Länder projiziert werden (so geschehen zum Beispiel in der AIDS-Debatte, wo es anfänglich hieß, sie beträfe nur schwule Männer und habe ihren Ursprung in Afrika) – oder dass von Krankheiten auf individuelles Fehlverhalten rückgeschlossen wird (auch hier fand sich erst kürzlich ein Beispiel in den Medien wieder: Spekulationen, der Schauspieler Michael Douglas sei deshalb an Kehlkopfkrebs erkrankt, weil er sich durch seine „sexuelle Umtriebigkeit“ einen HPV-Virus „eingefangen“ habe, geisterten durch die Klatschspalten). Diese Diskurslinien zeigen eine massive sprachliche Anstrengung, die Gefahr einer Erkrankung aus den Bezirken des eigenen Lebens fernzuhalten und im Rahmen von festumrissenen „Risikogruppen“ zu bannen.
Problematisch an Jolies Text ist ihr Appell an „alle Frauen“. Die Schauspielerin ist eine öffentliche Figur, die international im medialen Rampenlicht steht und in der sich Reales und Fiktionales untrennbar miteinander vermischen. Wie kaum eine andere berühmte Frau unserer Zeit vereinigt sie Elemente traditioneller ebenso wie progressiver Frauenbilder in sich. Sie ist schön, ihre Figur entspricht heutigen Idealen, sie ist verheiratet und Mutter einer Großfamilie, gleichzeitig in ihrem Beruf erfolgreich, überlegt in ihren Äußerungen und sie engagiert sich als UN-Sondergesandte für Flüchtlinge gegen sexuelle Gewalt in Kriegsgebieten. Sie ist eine Powerfrau, die angibt, sämtliche Stunts in ihren Filmen selbst zu machen. Ihr öffentliches Auftreten bietet eine breite Palette an Identifikationsangeboten. Der Text „My Medical Choice“ kann insofern eine große Vorbildwirkung für Frauen weltweit entfalten und sie in ihrem Umgang mit dem Thema Brustkrebs beeinflussen. Zwar betonen sowohl Jolie in ihrem Text als auch ihre Ärztin Dr. Kristi Funk in Gesprächen mehrfach, dass die bei Jolie praktizierte Methode nicht der einzige mögliche Umgang mit Brustkrebs und dem Brustkrebsrisiko sei, die Begeisterung aber, mit welcher gerade Dr. Funk über ihren „creative mode“ bei der Operation spricht, enthält eine implizite Wertung, die keinen Zweifel daran lässt, welche Herangehensweise ihrer Meinung nach zu bevorzugen ist. Die Ärztin, die auf der Website des Pink Lotus Breast Centers in Beverly Hills ein umfangreiches Dossier zu Jolies Behandlung veröffentlichte, ist nicht die einzige, die die Behandlung der bekannten Hollywood-Schauspielerin zu Werbezwecken instrumentalisiert. Myriad Genetics ist eine amerikanische Firma, die sich die Brustkrebsgene BRCA1 und BRCA2 patentieren ließ. Die Kosten einer Austestung betragen in den USA über 3000 Dollar. Bei Jolies Veröffentlichung ist der Kurs der Myriad-Genetics-Aktie sprunghaft angestiegen. Der Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft (AKF) kritisiert diese „unverblümte Koppelung von Geschäft und Krankheit, in der ein Medienhype (…) eine entscheidende Rolle bei der Werbung für medizinische Maßnahmen spielt“.
Vor dem Hintergrund einer Debatte um Frauenrechte ist auffällig, dass sowohl Jolie als auch ihre Ärztin, der – trotz der Operation erhalten gebliebenen – „Schönheit“ der Brüste eine hohe Bedeutung beimessen. „I developed some really new and beautiful changes to both, the preparation for surgery and in the actual operation“, sagt Dr. Funk in einem Interview mit ExtraTv. Die Aussage verdeutlicht, wie eng die Vorstellungen von Schönheit und Gesundheit in unserer Gesellschaft verknüpft sind. Gerade in Bezug auf die Körper von Frauen werden die beiden Bereiche oft gleichgesetzt, was, wie die zahlreichen Schönheits-OPs gegenwärtig zeigen, die Gefahr einer Überbewertung des vorherrschenden Schönheitsideals bei zu geringer Rücksichtnahme auf die körperliche Gesundheit birgt.
Mit jeder neuen Behandlungsmöglichkeit wächst auch die Entscheidungsmacht von PatientInnen. Eine Macht, die jedoch schnell zu einem Entscheidungsdruck werden kann, wenn gesellschaftlich nicht verantwortungsvoll mit ihr umgegangen wird. Wir brauchen einen Krankheitsdiskurs, der es ermöglicht, uns selbst in ein positives Verhältnis zu unseren Körpern zu setzen und unsere Entscheidungen gut informiert und frei von Schuldgefühlen und ökonomischen Interessen zu treffen. Angelina Jolies Text hat eine Debatte zu diesen Themen vom Zaun gebrochen und das ist als positiv zu bewerten. Es ist zu wünschen, dass diese Auseinandersetzung nicht bei überemotionalisierten Pro- und Contra-Stellungnahmen haltmacht, sondern einen differenzierten Blick auf unseren gesellschaftlichen Umgang mit Brustkrebs und anderen Krankheiten wirft.
Lena Brandauer, geb. 1983 in Klagenfurt. Studium der Germanistik und Genderstudies an der Universität Wien. Tätigkeiten bei der Zeitschrift Wespennest (seit 2008) und im Literarischen Quartier der Alten Schmiede Wien (seit 2011).
07.11.2013
© Lena Brandauer / wespennest
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