wespennest zeitschrift
Wespennest Backlist
Thomas Eder
Der Stall des Augias. Eine herkulische Montage

Während die Literatur in Mist und Abwässern mitunter ein subversives Potenzial erkennt und etwa Dürrenmatts Stück Herkules und der Stall des Augias den großen Saubermacher Griechenlands letztlich für überflüssig erklärt, bleibt die rechtsgerichtete politische Rede einschlägig. Mist und Menschen werden kurzgeschlossen. Thomas Eders Textmontage führt vor, warum es nichts Gutes verheißt, wenn sich die österreichische Innenpolitik für Herkules zu interessieren beginnt.

Einen Augiasstall auszumisten ist eine in der politischen Rhetorik geläufige Floskel: Sie geht auf eine der von Herakles/Hercules bewältigten Aufgaben zurück und bedeutet als Redewendung ungefähr, korrupte Verhältnisse und Zustände aufzudecken und zu bereinigen. Die folgende Montage von Zitaten aus der Literatur und aus einer Rede vor dem österreichischen Nationalrat will erhellen, wie die Redewendung in jüngerer österreichischer Innenpolitik umgewendet worden ist und den aus der Sage bekannten Herakles zum Namenspatron einer militärischen Transportmaschine hat werden lassen, mit deren Hilfe und im Einklang mit der zweiten Bedeutung der Redewendung „saubergemacht“ werden solle.

Als fünfte Aufgabe trug Eurystheus Herakles auf, den Mist vom Vieh des Augeias in nur einem Tag aus dem Viehhof herauszuschaffen. Augeias war der König von Elis und nach den verschiedenen Sagen ein Sohn des Helios, des Poseidon oder des Phorbas. Er hatte eine Menge Viehherden. Herakles kam zu ihm und versprach, ohne vom Auftrag des Eurystheus etwas zu erwähnen, den Mist in einem Tag herauszuschaffen, wenn er ihm den zehnten Teil seines Viehs überlasse. Augeias, der nicht an die Möglichkeit glaubte, versprach es. Herakles aber nahm den Sohn des Augeias, Phyleus, zu Zeugen, riss den Grund des Viehhofs an einer Stelle auf, leitete die in der Nähe fließenden Flüsse Alpheios und Peneios durch einen Nebenkanal hinzu und ließ sie durch eine andere Öffnung ausströmen. Als aber Augeias erfuhr, dass dies im Auftrag des Eurystheus geschehen war, verweigerte er den Lohn, leugnete überdies geradezu, einen Lohn versprochen zu haben, und erklärte sich bereit, die Streitsache einem Richterspruch anheimzustellen. (Aus: Apollodoros, Die zwölf Arbeiten des Herakles)

ZEUS Tu deine Arbeit. Ohne Fleiß kein Preis.
Vorbei.
HERAKLES Sagtest du Arbeit? Sauf die Schaufel auch.
Wirft die Schaufel in den Fluß.
Sei was du mir geraubt hast, Fluß mein Kübel
Fluß meine Schaufel, Fluß mein Stier. Du auch
Fluß links. Zwei Flüsse waschen mehr als ein Fluß.
Hast du kein Ohr für mich, hör meine Faust
Ich zähme dich und ändre deinen Gang
Und dich und deinen Gang, mit ihrer Sprache.
[…]
Donner.
Hab ich dich zu fragen vergessen? Gestatte daß ich deine Welt ändre, Papa.
Augias, nimm dein Vieh aus deinem Stall
Ich komme, Herakles, zwei Flüsse stark
Herr über die Gewässer und dein Stallknecht
Der Fluß ist meine Hand und meine Kraft
Der unterworfene mit meiner Hand
Der unterworfene mit meiner Schwäche.
AUGIAS Mein Stall! mein Vieh!
[…]
HERAKLES macht den Damm auf
Aus meinem Weg, Viehhalter. Das bin ich
Der deinen Stall wäscht, Herakles der Fluß
Gelenkt von Herakles dem Flüsselenker.
(Aus: Heiner Müller, Herakles 5)

Herakles, sagt Heiner Müller, verkörpert in den Mythen als erster die „Gestalt des Arbeiters“. In einer von Göttern auferlegten Verwirrung tötet er „das Liebste, das er hat“, darunter seine Kinder, seine Frau, zündet das Haus an. Geistesabwesend verhält er sich zerstörerisch „auf entsetzliche Weise“. Daraufhin verdingt er sich bei dem Tyrannen Eurystheus, der ihn – um Herakles als Arbeiter zu verschrotten, d.h. Nutzen zu ziehen, eigentlich aber: um ihn zu vernichten – mit zwölf Aufträgen versieht, die sämtlich auf etwas Unmögliches gerichtet sind, wie Eurystheus meint. Herakles aber zerteilt diese Unmöglichkeiten in Einzelschritte, panzert sich gegen Zweifel und Schmerz und vollbringt diese „Werke“. Er fügt, sagt Heiner Müller, eine uns unbekannte dreizehnte Leistung hinzu. Es geht um eine ins Unendliche gerichtete, die Gegenstände verändernde Tätigkeit, einschließlich des Tötens und Beseitigens, um die Gestalt einer „lebendigen Maschine“ (Aus: Alexander Kluge, Heiner Müller und „Die Gestalt des Arbeiters“)

Abgeordnete Dr. Dagmar Belakowitsch-Jenewein: Ich selbst hatte am 4. Juni das zweifelhafte Vergnügen, Zeuge einer Abschiebung zu werden. Es waren drei Beamte in Zivil und eine Ärztin auf einem Flug von Wien nach Mailand. Der 4. Juni war ein Feiertag in Österreich, da gab es einen Abschiebungsversuch. Der Abzuschiebende hat dort getobt, hat sich aufgeführt, trotz Beruhigungsspritze – und nach einer Dreiviertelstunde hat sich dann der Pilot geweigert, ihn mitzunehmen, ihn nach Mailand rückzuführen. Mit einer Dreiviertelstunde Verspätung ist dann die Maschine in Wien in Richtung Mailand gestartet. (Präsidentin Bures gibt das Glockenzeichen.)
Das, Frau Innenminister, ist nämlich genau das Problem: Diese Abschiebungen sind teuer, und die Flüchtlinge wehren sich ja auch massiv dagegen, weil die NGOs im Hintergrund stehen und sagen: Wenn du recht laut schreist, wird das abgebrochen! Daher, Frau Innenminister, wäre es möglich, einmal neue Wege zu gehen und zu überlegen, ob man nicht vielleicht mit der Hercules-Maschine* abschieben könnte, denn dann könnten sie da drinnen schreien, so laut sie wollen. (Beifall bei der FPÖ.) Gleichzeitig könnte das BMI dem Bundesheer das sozusagen finanzieren, dem Bundesheer wäre geholfen. (Präsidentin Bures gibt neuerlich das Glockenzeichen.) Und die NGOs könnten aufhören, den Leuten zu erklären, sie sollen schreien und toben, damit sie hierbleiben können, denn da drinnen können sie schreien, so viel sie wollen, es ist so laut, dass es ohnehin keiner hört.
Präsidentin Doris Bures: Kommen Sie bitte zum Schlusssatz, Frau Abgeordnete!
Abgeordnete Dr. Dagmar Belakowitsch-Jenewein (fortsetzend): Und dieser Asylindustrie (Abg. Schwentner: Wissen Sie, was Sie da reden …?) – ja, Frau Kollegin Schwentner, ich weiß, was ich sage – wäre endlich einmal ein bisschen der Garaus gemacht. (Beifall bei der FPÖ)
(Aus: Dr. Dagmar Belakowitsch-Jenewein, FPÖ-Abgeordnete, Rede vor dem Nationalrat, Stenographisches Protokoll, 79. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich XXV.GP, 17.6.2015, Seite 34)

Bundesheer: Erster Hercules-Rückführungsflug wurde erfolgreich durchgeführt. – Heute, 20. Juli 2016, führte das Österreichische Bundesheer den ersten Rückführungsflug von elf negativ beschiedenen Asylwerbern mit der C-130 Hercules nach Bulgarien durch.
(OTS des Bundesministeriums für Landesverteidigung und Sport)

*Die Lockheed C-130 Hercules der Lockheed Corporation ist eines der vielseitigsten und am weitesten verbreiteten militärischen Transportflugzeuge. Beim Personentransport können entweder 92 Kampfsoldaten oder 64 vollausgerüstete Fallschirmjäger befördert werden. Bei MedEvac-Aufgaben sind bis zu 74 Patienten auf Tragen und zwei medizinische Begleiter vorgesehen. Der Begriff engl. MEDical EVACuation bezeichnet den Abtransport verletzter Personen aus unsicheren Gebieten oder Verbringung derselben in qualifizierte medizinische Versorgung.


Thomas Eder, geb. 1968, Literaturwissenschaftler und -vermittler, Lehrbeauftragter am Institut für Germanistik der Universität Wien, Redaktionsmitglied der Zeitschrift wespennest seit 2000. Jüngste Publikationen: Konrad Bayer. Texte – Bilder – Sounds (hg. mit Klaus Kastberger; Hanser 2015), Selbstbeobachtung. Oswald Wieners Denkpsychologie (hg. mit Thomas Raab; Suhrkamp 2015), Einfache Frage: Was ist gute Literatur? Acht komplexe Korrespondenzen (hg. m. F. Huber, A. Kim, K. Neumann, H. Neundlinger; Sonderzahl 2016).

13.10.2016

© Thomas Eder / wespennest


Wespennest Backlist
„wespenstiche“ ist die Netzkolumne der Redaktion und kritischen Interventionen jenseits der Printausgaben unserer Zeitschrift vorbehalten. Ihre Autorinnen und Autoren stechen unregelmäßig und anlassbezogen.









Lukas Meschik
Der tiefe Riss

Andrea Roedig
Pest und Polio


Susanne Scharnowski
Der Anti-Heimat-Reflex

Jan Koneffke
Der Heimat-Sprech














Andrea Roedig
Mutterobjekt
















Wespennest Zeitschrift
Heft 185 |w185| Die Kluft zwischen uns und den Tieren wird zunehmend kleiner. Bleibt als Unterschied die singuläre Sprachwahrnehmung und Sprachproduktion des Menschen?
Heft 184 |w184| Wie lange eine Ordnung hält, ist nicht vorhersehbar. Wer von „Zeitenwende“ spricht, steht auch vor der Frage, welche der alten Regeln noch gelten und woraus sich Neues formt.
Heft 183 |w183| Das Bedürfnis, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden, scheint ein ethisches Gebot zu sein. Was aber, wenn man Fakt und Fiktion nicht so leicht unterscheiden kann?
Wespennest Partner

C.H.Beck

Glanz und Elend

© wespennest zeitschrift & edition | rembrandtstr. 31/4 | a-1020 wien | österreich
t +43-1-3326691 | f +43-1-3332970 | office@wespennest.at