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Wespennest Backlist
Walter Famler
Digitale Dienstleistungsgesellschaft oder: Wie ich als Lieferant zur elektronischen Rechnungslegung verpflichtet wurde

I-Voting, elektronisches Beschaffungswesen, papierloses Klassenzimmer – die globale Digitalisierung des Lebens schreitet voran. Komfort, der Abbau von Bürokratie, die schnelle und einfache Durchführung per Mausklick, mehr Transparenz und Sicherheit werden als ihre Vorteile gepriesen. Von den Risiken und Nebenwirkungen hören wir hingegen selten. Walter Famler verfängt sich im Aktionsplan für e-Austria.

Am Ende einer Beiratssitzung zur Verlagsförderung wird mir ein Informationsblatt ausgehändigt. Beiratshonorare per e-Rechnung: Ab dem 1. Jänner sind alle Vertragspartner von Bundesdienststellen im Waren- und Dienstleistungsverkehr mit Bundesdienststellen zur Ausstellung und Übermittlung von e-Rechnungen verpflichtet. Auszahlungen auf Grundlage eingebrachter Papierrechnungen sind nicht mehr möglich. Die Einbringung von e-Rechnungen erfolgt über das Unternehmensserviceportal USP und erfordert eine einmalige Registrierung.

Diese Mitteilung trifft mich einigermaßen unvorbereitet. Zwar habe ich schon dort und da von dieser e-Rechnung gehört, aber, ich gestehe: Ich habe es ignoriert. Jetzt habe ich den Salat: Will ich mein Honorar, dann muss ich rein ins Portal. Vor allem: ich brauche entweder eine Bürgerkarte oder eine Handysignatur, um die Registrierung zu bewältigen. Beides habe ich nicht und will ich auch gar nicht haben. Ich bin ein Analogmensch und möchte mich nicht andauernd digitalisieren lassen. Ich zahle möglichst cash und möchte auch meine Honorare wie bisher kriegen.

Zurück im Büro rufe ich das Unternehmensserviceportal im Internet auf, verzweifle nach drei Minuten und rufe die Hotline an. Und siehe, sofort bin ich mit dem freundlichen Herrn K. verbunden. Herr K. versteht auch meinen Frust gleich und tröstet mich: Ich sei wahrlich nicht der Einzige, der danebensteht. Aber er, sagt Herr K., sei ja dazu da, mir zu helfen und erklärt mir die Bürgerkarte. Ich verstehe, dass die Bürgerkarte meine grüne Sozialversicherungskarte ist, und erkläre Herrn K., dass ich kein Interesse habe, dass meine Gesundheitsdaten mit anderen Daten auf einer Karte verknüpft werden. Bleibt also nur die Handysignatur und die muss ich mir bei Vorlage eines amtlichen Lichtbildausweises bei einer Servicestelle des Bundes oder beim Magistrat abholen.

Tags darauf marschiere ich also zur Servicestelle am Ballhausplatz und im Parterre des Bundespräsidenten werde ich von einer freundlichen Prekariats-Studentin empfangen, deren Laptop mich sofort als Problemfall identifiziert. Es dauert einige Zeit, bis der Fehler behoben ist: Weil in meinem Pass ein zweiter Vorname steht, hat mich der Blechtrottel als Walter Johann gesucht. Ich muss ein Widerrufspasswort und ein Signaturpasswort angeben und es brummt eine SMS auf meinem Handy. A-Trust schickt mir meinen mobile phone signature activation code (five minutes valid): vha6bk certificate for: Walter Johann Famler. Ich unterschreibe einen Zettel, erhalte einen „Antrag auf Ausstellung von A-Trust Zertifikaten und Signaturvertrag“ im DIN-A4-Format worauf geschrieben steht: „Vertragspartner sind der Antragsteller (in Folge Signator genannt) und die A-Trust Gesellschaft für Sicherheitssysteme im elektronischen Datenverkehr GmbH (in Folge A-Trust genannt). Der Zertifikatsinhalt wird nach den Angaben des Signators festgelegt. Der Signator bestätigt die Korrektheit und Vollständigkeit seiner Angaben per elektronischer Unterschrift und stimmt der elektronischen Verarbeitung und Speicherung seiner Daten durch A-Trust ausdrücklich zu. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der A-Trust für qualifizierte Zertifikate (https://www.a-trust.at/docs/agb) und das Merkblatt zu qualifizierten Zertifikaten der A-Trust (https://www.a-trust.at/docs/merkblatt), inklusive der dort gelisteteten weiter führenden Dokumente, bilden einen integrierenden Bestandteil dieses Signaturvertrages und stehen dem Signator auf http://www.a-trust.at zur Verfügung. Dies wird vom Signator ausdrücklich anerkannt. Dieser Signaturvertrag beginnt am Tag der Zertifikatsausstellung und ist befristet für die Gültigkeitsdauer der Zertifikate.“ Who the hell is A-Trust und was habe ich da elektronisch unterschrieben?

Herr K. hat mir zu einer 24-Stunden-Abstinenz zwischen Registrierung Handy-Signatur und neuerlichem Einstieg ins USP geraten, die ich einhalte, aber trotzdem dann an der Anmeldung scheitere. Drei weitere Versuche mit telefonischer Anleitung durch Herrn K. gehen genauso daneben. Das liege, meint Herr K., wahrscheinlich an meinem Provider. Ob ich vielleicht Zugang zu einem anderen Gerät hätte?

Am späten Nachmittag probiere ich es dann also vom Laptop aus, und obwohl Herrn K.s Prognose negativ war („Des funktioniert scho gor net!“), schaffe ich die Registrierung und arbeite mich zur Funktion „Rechnungslegung“ vor. Fenster für Fenster fülle ich Kästchen und Spalten mit Auftragsreferenz, Lieferantennummer, BIC und IBAN aus. Wie beim Mensch-ärgere-Dich-nicht werde ich dabei immer wieder zurückgeworfen. Beim Mengenfeld kann ich zwischen Gramm oder Hektar, Kilo-, Mega- und Pentabyte wählen. Ich entscheide mich für eine Megatonne Beratungsleistung und sende meine Rechnung erfolgreich, wie mir umgehend bestätigt wird, ab.

Ich telefoniere mit einem Beiratskollegen und echauffiere mich über die e-Rechnung. Auch ihm, bestätigt er, hätte allein das Prozedere um die Handy-Signatur mehr als zwei Stunden gekostet. Wir sollten uns das nicht gefallen lassen, sage ich. Ach, seufzt er, wogegen hätte er sich nicht schon alles gewehrt im Leben – wenn er nur an die erfolglose Anti-Genmais-Kampagne denke! Living in oblivion – eine andere Perspektive gibt es nicht, meint er, und wünscht mir ein schönes Wochenende.


Walter Famler, geb. 1958, seit 1983 Redaktionsmitglied, ab 1995 Mitherausgeber und Herausgeber der Zeitschrift Wespennest.

06.03.2014

© Walter Famler / wespennest


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